DiGA in Österreich: Vom politischen Versprechen zur gelebten Versorgung – jetzt braucht es gemeinsamen Willen

Kommentar von Philipp Steininger

Nach Jahren intensiver Diskussionen und konzeptioneller Vorarbeit kommt endlich Bewegung in die Umsetzung: Österreich steht kurz davor, den Weg für die Bewertung und Erstattung digitaler Gesundheitsanwendungen (DiGA) zu ebnen. Bis Ende 2026 soll der gesetzliche und organisatorische Rahmen stehen, damit ab Jänner 2027 die ersten DiGA regulär zur Verfügung stehen.

Was sind Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA)?

DiGA sind medizinische Softwareprodukte mit nachgewiesenem Nutzen für Diagnose, Therapie oder Rehabilitation. Sie unterscheiden sich klar von allgemeinen Gesundheits-Apps.

Kennzeichnend für DiGA sind:

  • Medizinischer Zweck und CE-Zertifizierung als Medizinprodukt
  • Strenge Anforderungen an Qualität, Datenschutz und Evidenz
  • Nachweisbarer therapeutischer Mehrwert durch Studien
  • Möglichkeit der Integration in ärztliche Behandlung und Regelversorgung
  • Unterstützung beim Selbstmanagement und der Adhärenz

DiGA erweitern klassische Therapien um digitale Komponenten und tragen so zu einer effizienteren, individualisierten und patientenzentrierten Versorgung bei.

Ein Meilenstein für die Gesundheitsversorgung in Österreich!

Nicht nur für die Digitalisierung des Gesundheitswesens, sondern auch für die Qualität und Nachhaltigkeit der Versorgung. Denn DiGA sind längst keine Zukunftsvision mehr, sondern real verfügbare, CE-zertifizierte Medizinprodukte mit nachgewiesenem Nutzen in Diagnose und Therapie.

Politischer Wille reicht nicht – Umsetzung entscheidet

Der Weg von der Ankündigung zur Anwendung ist komplex. Entscheidend ist, ob der Prozess praxisnah und transparent erfolgt – im Schulterschluss mit ÄrztInnen, Gesundheitsdiensten, Sozialversicherung, Herstellern, Patientenvertretungen und Politik. Nur gemeinsam kann DiGA ein fester Bestandteil der Versorgung werden.

Die gesetzliche Ausgestaltung sollte mit Augenmaß und in enger Zusammenarbeit mit der Industrie erfolgen. Erste Abstimmungen in Form von Pilotprojekten haben bereits stattgefunden – diese müssen nun konsequent fortgeführt werden. Nur durch eine kontinuierliche Einbindung der Herstellerperspektive können praxisnahe Rahmenbedingungen entstehen, die Innovation fördern statt behindern.

Wird die Gesetzgebung hingegen ohne technisches und anwendungsnahes Verständnis entwickelt, drohen realitätsferne Vorgaben. Diese könnten den Zugang zu digitalen Therapien erschweren und sowohl den Nutzen für PatientInnen als auch die Effizienz im Gesundheitssystem negativ beeinflussen.

Ein Blick nach Deutschland zeigt, wie wichtig enge Zusammenarbeit ist. Der dortige DiGA-Fast-Track setzt 2020 internationale Maßstäbe – musste aber kontinuierlich weiterentwickelt werden. Digitalisierung im Gesundheitswesen ist ein laufender Prozess: Strukturen müssen überprüft, Feedback ernst genommen und Verfahren angepasst werden. Österreich kann aus diesen Erfahrungen lernen und ein besser ausbalanciertes System schaffen, das Innovation und Versorgung gleichermaßen stärkt.

Was schon heute möglich ist

Bereits heute zeigen Beispiele den konkreten Nutzen: HNO-Fachärztinnen und Fachärzte verordnen seit über drei Jahren eine Tinnitus-DiGA – bislang auf Privatzahler-Basis. Auch bei psychischen Erkrankungen wie Depressionen oder Schlafstörungen kommen digitale Anwendungen erfolgreich zum Einsatz und unterstützen Patientinnen und Patienten im Alltag und in der Therapie.

Diese Beispiele zeigen: Patientinnen und Patienten sind bereit, digitale Angebote anzunehmen, und Ärztinnen und Ärzte erkennen deren Mehrwert. Damit solche Anwendungen künftig flächendeckend wirken, braucht es eine strukturierte Erstattung. Erst durch Integration in die Regelversorgung können DiGA ihr volles Potenzial entfalten.

Fazit: Jetzt gemeinsam Verantwortung übernehmen

Österreich hat die Chance, ein innovatives und patientenorientiertes Erstattungsmodell zu schaffen – mit medizinischem Mehrwert, ökonomischer Effizienz und Planungssicherheit für Hersteller.

Dafür braucht es eine gemeinsame Haltung: Digitalisierung darf nicht als technisches Projekt verstanden werden, sondern als kulturelle Transformation unseres Gesundheitssystems. Es geht darum, Bewusstsein zu schaffen – in Praxen, Spitälern, bei Kostenträgern und in der Öffentlichkeit. Nur mit breiter Akzeptanz kann das volle Potenzial digitaler Gesundheitsanwendungen wirksam werden.

Die Vision ist klar:

Ein Gesundheitssystem, das digitale Innovation als Chance versteht, DiGA als festen Bestandteil moderner Versorgung etabliert und PatientInnen dort unterstützt, wo sie stehen – digital, alltagsnah und evidenzbasiert.

Jetzt braucht es den gemeinsamen Willen aller Beteiligten.

Denn nur wenn wir gemeinsam handeln, wird aus dem politischen Versprechen gelebte Versorgung – und aus digitaler Innovation echte Gesundheit.

Portrait_Steininger
Philipp Steininger ist AUSTROMED-Arbeitsgruppensprecher für Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) sowie Sales Manager und Leiter für Digital Therapeutics bei Sanova Pharma GesmbH. Er engagiert sich für eine moderne, patientenorientierte Gesundheitsversorgung und die Integration digitaler Therapielösungen in die Regelversorgung.